Engadin

Eine Runde mit Larissa Gasser

«In mir steckt ein Rennpferd»

Über das Glück der zweiten Chance und die Liebe zum Fairwayholz – eine Runde mit der Profi-Snowboarderin Larissa Gasser auf dem Golfplatz in Zuoz

Text: Thomas Niederberghaus
Fotos: Giancarlo Cattaneo

Larissa Gasser

Eigentlich, sagt sie, sei sie ein ziemlich entspannter Mensch. Und dass es wenig Situationen auf dem Golfplatz gebe, die sie aus der Ruhe brächten. Genau genommen seien es zwei. Erstens: Wenn ich ahne, wo der Ball liegt und ihn dann noch nicht finde. Zweitens: Wenn mir jemand vermeintlich wichtige Tipps geben möchte. Und da sind wir auch schon bei den Golfregeln. Weisst Du, frage ich sie, wann ein Ball als verloren gilt? Sie muss nicht lange überlegen: Wenn er binnen drei Minuten nicht gefunden wird. Und wusstest Du, dass man für die Belehrung eines Mitspielers zwei Strafpunkte kassiert? Sie sagt: Nein, aber gut zu wissen, denn die Belehrenden sind ja überall. «Die Leute, die Dir ungefragt Tipps geben. Ich mag das nicht und lasse es sie auch freundlich wissen.»

Jetzt aber hübsch der Reihe nach. Larissa Gasser. Alter: 27. Sternzeichen: Löwe. Augenfarbe: blau. Professionelle Snowboarderin. Europa-Cup-Gewinnerin, Sechste im Weltcup, Dritte bei der Junioren-WM. 220 Tage im Jahr unterwegs. Ja, sagt sie, Kofferpacken kann ich gut, obwohl ich es hasse. Das Reisen hat sie früh gelernt. Unsere Familie war und ist immer auf Reisen gewesen, um andere Kulturen und Länder kennenzulernen. Aber, fügt sie hinzu, «im Engadin bin ich zu Hause. Es ist unvergleichlich schön hier.» Man kann ihr nur zustimmen. Wir stehen auf dem Golfplatz in Zuoz, Abschlag erstes Loch. Rechts und links die Weite des Tals. Die Vögel zwitschern vergnügt in den Bäumen. Sie bereitet sich vor. Tänzelt noch einmal kurz, um sicher zu stehen, schlägt ab – und: Der Ball fliegt und fliegt und fliegt geradewegs Richtung Green. Zufrieden? Ja, sagt sie, der erste Schlag nimmt Dir ein bisschen den inneren Stress. Aber das Schöne ist ja, dass Du einen zweiten Schlag hast und immer eine neue Chance bekommst – beim Snowboarden genauso wie beim Golfen. Und noch etwas verbinde die beiden Sportarten: «Du fährst dein eigenes Rennen und spielst dein eigenes Spiel. Und für beides brauchst Du eine mentale Stärke.»

Larissa Gasser

Nachdem sie am fünften Tee abgeschlagen hat und ihren Ball verzweifelt im Rough sucht, wirft sie einen neuen Ball auf den Boden und spielt mit diesem weiter. Man merkt ihr an, dass sie ein kleines bisschen gereizt ist und für einen kurzen Augenblick ihre Ruhe verliert. Und auch dieser Ball ist nicht ihr Glücksbringer. Er landet im See vor dem Green. Umso grösser ihre Freude, dass der nächste Ball nicht einmal einen Meter neben dem Loch landet. Es kommt oft anders, als man denkt, sagt sie, das sei das Leben. Eine Erkenntnis, die sie nach einem Unfall hatte. Eine Zäsur. «Da habe ich gelernt, dass es auch andere Dinge gibt, die mich erfüllen, meine Freunde, meine Eltern.» Berührend, wie sie von ihnen spricht, aber auch nicht verwunderlich. Eltern, die sich für ihre Kinder jeden Morgen ein kleines Abenteuer überlegen, machen nicht viel falsch. «Das konnte der Geruch eines blühenden Flieders sein, eine Wanderung oder, wenn wir in einer Alphütte die grösste Cremeschnitte der Welt assen». Jeden Morgen hatte sie etwas, auf das sie sich freuen konnte. Und Freude sei auch heute noch der Motivator für alles. Wenn andere von Disziplin beim Sport sprechen, dann spricht Larissa Gasser von Freude.  

Snowboarden lernte sie als sie «noch nicht einmal richtig laufen konnte», Golfen begann sie im Alter von sieben Jahren. Damals hatten wir eine lustige Runde, sagt sie, haben dabei viel gequatscht. Mit zehn machte sie bereits eine Golfpause, um sich mehr auf das Snowboarden zu konzentrieren und sich einer weiteren Leidenschaft zu widmen, den Pferden. Irgendwann vor drei Jahren kamen dann die Freunde und sagten: Lass uns mal wieder Golfspielen. «Das hat sofort gekickt.»

Larissa Gasser

 

 

Hast Du einen Lieblingsschläger?
«Ganz klar das fünfer Fairway-Holz.»

Mit welchen Vorurteilen gegenüber dem Golfsport sollte man mal aufhören?
«Dass es ein Sport für Rentner und jeder Golfer versnobt ist.»

Wir stehen an Loch 10. Und wenn sie vom Sport spricht, dann weiss man sofort, wofür ihr Herz am lautesten schlägt. Sie sagt: «Am Start zu stehen und die Anspannung der anderen Fahrer zu spüren oder den Zweikampf, der oft gnadenlos ist, das treibt das Adrenalin durch meine Venen. In mir steckt ein Rennpferd.» Wieder tänzelt sie am Abschlag, um den Stand zu finden. Aber im Gegensatz zu vielen anderen, übertreibt sie es nicht. Es gibt ja Spielerinnen und Spieler, die wackeln so lange mit dem Po, bis sie vergessen haben, was am Tee eigentlich zu tun ist. Sie braucht nur zwei Sekunden oder drei, dann schiesst der Ball Richtung Unterengadin, diesmal so heftig, dass man denken könnte, er landet in Scuol oder sonstwo dahinten.

Zufrieden schaut sie mich an, und dann fällt ihr noch eine Parallele zwischen dem Golfsport und dem Snowboarden ein. Bei beiden Sportarten kommen in den Wettbewerben Spieler und Fahrer aus der ganzen Welt zusammen. «Das mag ich», sagt sie, «und es trägt zur Toleranz bei.» Sie liebe das Zusammentreffen von verschiedenen Kulturen beim Sport. Ihr bester Freund sei Halb-Inder. Ich bin farbenblind aufgewachsen, fügt sie hinzu und lacht. Und vielleicht mag sie auch deshalb so gerne den Schnee.